Vor einigen Tagen
wurde ich durch Zufall mit der „integralen Theorie“ konfrontiert. Googlen. Aha!
Ganzheitlicher Ansatz. Klingt gut. Nur so kann es gehen. Noch bin ich d’accord.
Ja, das Innen und Außen zu betrachten (Gefühle des Menschen und Erwartungen der
Umwelt), ist sicherlich sinnvoll. Ja, man kann den Menschen nicht getrennt von
den Organisationen sehen, so wie man die Psychologie nicht von der Soziologie
trennen kann. Letzteres hat mich im Studium schon immer genervt. Die Soziologen
verfochten den Ansatz, alles sei durch die Gesellschaft bedingt, die
Psychologen wiederum meinten, alles würde vom Individuum ausgehen. Eigene
Gedanken, die sinngemäß folgendermaßen aussahen: „ Der Mensch mit seinem
Denken, Fühlen und wollen IST ein Teil der Gesellschaft, die Gesellschaft wirkt
ihrerseits auf das Denken, Fühlen und Wollen des Einzelnen ein.“ – wurden meist
nur mit hochgezogenen Augenbrauen quittiert. Mein Verstand setzte aus oder war
wohl nicht für Höheres geschaffen.
Ganzheitlichkeit
Auch unser Claim lautet „ganzheitliches Training für
ganzheitlichen Erfolg“. Hinter diesem Satz steckt die Verbindung von Sport
(CrazySports Augsburg) und den beratenden Trainertätigkeiten (Rebel-Management-Training).
Die Erfahrungen von über 20 Jahren zeigen, dass der Kopf
eben nicht getrennt vom Köper agiert und dass man die Dinge ganzheitlich
betrachten und angehen sollte. Das war aber noch nie etwas bahnbrechend Neues
für mich, sondern eher eine Selbstverständlichkeit.
Erlebnispädagogik, körperorientiertes Coaching,
Psychosomatik, Hormone und Gefühle, Stress und Stresserleben, sportliches
Training und Überwindung geistig gesetzter Grenzen (Angst zu Fallen, Angst vor
Verletzungen) – all diese doch eher handfesten Bausteine sind für mich einem
ganzheitlichen Ansatz zugehörig.
Wenn man einen Menschen verstehen möchte, so kann man ihn
nicht nur in Zahlen zerlegen, sondern muss sich eben auch in seine (Gefühls)-Lage
versetzen. Soweit so gut.
Das hat noch nichts besonders Spirituelles an sich - finde
ich zumindest.
Spiritualität
Jetzt kommen wir zu einem Reizwort. Ja, ich bin ein
gläubiger Mensch und ich glaube daran, dass wir mit unseren bisherigen
Verstandes-Möglichkeiten noch lange nicht alles erfasst haben und es auch wohl
nie erfassen werden können. Fakt. Für mich.
Das Wissen/der Glaube daran, dass es etwas Unbegreifliches,
etwas Unvorstellbares, etwas „Übernatürliches“ gibt, macht einen Menschen noch
nicht zum Spinner.
Das Wort „übernatürlich“ an sich ist meines Erachtens
Ausdruck einer gewissen menschlichen Überheblichkeit, denn wer bestimmt denn,
was natürlich ist und was nicht?
Normal bedeutet ja auch nur: „Der Norm entsprechend“ und
Normen werden eben häufig von Menschen erstellt. Insofern bin ich mir ziemlich
sicher, dass es Menschen gibt, die Zugang zu „höheren Sphären“ haben, oder wie
sie es auch immer nennen mögen.
Wenn Spiritualität allerdings dazu führt, dass man die
„anderen“, die armen Seelen, die auf ihrem beschränkten Weg zur spirituellen
Reife noch keinen Schritt weitergekommen sind oder die diesen noch nicht einmal
gehen wollen, mitleidig betrachtet und es diese Personen auf welche Art auch
immer spüren lässt, dann reagiere ich gereizt.
Das ist gelebte Überheblichkeit, die den Wunsch nach
ganzheitlichem Agieren ad absurdum führt. Es muss niemand bemitleidet werden,
der (noch) keine Erleuchtung gefunden hat oder nicht in der Lage ist Engel,
Feen, Elfen oder Einhörner zu sehen. So wie man niemandem bemitleiden muss, der
noch nicht alle Länder bereist hat, die eine andere Person vielleicht schon
bereisen konnte.
Genau dieses Verhalten lässt sich allerdings nicht selten
beobachten: Trägt man in manchen Yoga-Workshops nicht die gleiche Kleidung wie
andere, hat keine 5 Buddha-Bändchen an jedem Handgelenk und will auch nicht
jedem gleich Liebe schenken, so ist man eine arme Wursthaut. Traurig.
Bemitleidenswert. Von Erleuchtung weit entfernt.
Steht man Motivationsgurus kritisch gegenüber, weil man die
heilsbringenden Sätze „Glaube an Dich und du kannst alles schaffen.“ – eben als
netten Spruch ohne Inhalt betrachtet, der den zuhörenden Personen keine
Handlungsmöglichkeiten aufzeigt oder sie lehrt, wie diese technisch zu nutzen
sind, so ist man ein enfant terrible,
ein nicht ganz so gern gesehener Gast.
Immer dann, wenn proklamierte Ganzheitlichkeit dazu führt,
die Menschen, die (noch) nicht ganz so ganzheitlich agieren können, zu
bemitleiden, sie abzulehnen, sich ihnen gegenüber in irgendeiner Weise
herablassend zu verhalten, dann zeigt dies, wes Geistes Kind die Anhänger sind.
Was wäre denn ein Trainer/ein Lehrer/ein Coach, wenn er oder
sie seinen Coachee/Schüler abschätzig betrachten würde, weil er/sie noch nicht
da ist, wo man selbst schon ist?
Eltern betrachten ihre Kinder doch auch nicht abfällig, weil
diese noch nicht mal alleine aufs Klo gehen können.
Ganzheitlich ja,
vernünftig auch
Der fliegende Teppich ist eine tolle Vorstellung, aber für
den zu bewältigenden Alltag ist es wichtig, erst einmal auf dem Teppich zu
bleiben, bevor man mit ihm abheben möchte.
Denn wer abgehoben ist, verliert eben häufig die Verbindung
zum Boden der Tatsachen, die allerdings eben auch betrachtet werden wollen und
die sich nicht einfach wegsingen lassen.
Ganzheitlich heißt für mich/für uns, dass wir betrachten,
was mit sinnvollen Maßnahmen möglich ist und gemeinsam mit dem
Partner/Coachee/Teilnehmer/Schüler/Auftraggeber eruieren, wie wir vorgehen
können und ob es dem anderen dabei gut und besser geht.
Tut es das nicht, oder versteht das Gegenüber den
Trainer/Coach/Yogi nicht, so wählt man einen anderen Ansatz, denn es ist seine
Pflicht und Verantwortung, die teilnehmende Person dort abzuholen, wo wie sich befindet,
nicht mitleidig zu gucken, wenn die Person Angst hat einen Kopfstand zu machen,
wo man doch wissen müsste, dass Umkehrpositionen (im Yoga beispielsweise) im
wahrsten Sinne des Wortes der Schlüssel zu neuen Perspektiven sind.
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