Donnerstag, 18. Februar 2021

Berührungsempfindlich

 

Ich liebe dicke gestrickte Pullover. Am liebsten in Norwegermustern. Und Angora-Pullis und Mohair. Ich kann sie nicht tragen. Selbst wenn ich ein Langarmshirt drunter trage, so kratzt es und spätestens nach 15 Minuten werde ich so nervös und erlebe einen solchen Juckreiz, dass der schönste Pullover zum Folterinstrument wird. Ich vertrage einfach keine Schurwolle, kein Mohair, keine Angora-Fasern. Und dass, obwohl es natürliche Fasern sind.
So wie zufällige und ungezwungene Berührungen unter Menschen etwas ganz Natürliches sind, oder vielmehr waren.

 

Sehr angenehm

Abstand beim Einkaufen. Niemand, der einem den Einkaufswagen in die Hacken rammt. Menschen, die von Deo noch nie etwas gehört haben und mir nun vom Leib bleiben. Wundervoll. Kein heißer, feuchter Atem der Person, die hinter mir steht in meinem Nacken. Nicht das Schlechteste. Es gibt ein paar Veränderungen, bei denen ich nicht traurig wäre, wenn man sie „hinterher“ – wann auch immer das sein wird – beibehalten würde.

 

Wenn sich die Frage nach Nähe nicht stellt

Hinterher. Ein Wort voller Ungewissheit, Sehnen und Hoffnung. Ich ertappe mich oft dabei, dass ich von der Zeit spreche, wenn alles wieder normal ist. Nur um dann mit resigniertem Erstaunen festzustellen, dass es nicht mehr „wie früher“ werden wird und auch, dass die „neue“ Normalität schon längst Einzug gehalten hat. Die Frage nach Nähe stellt sich im Moment nicht. Man darf ja gar nicht. Und ich gebe zu, dass ich in den vergangenen 10 Monaten tatsächlich 2- oder 3-mal etwas Verbotenes getan habe. Vielleicht bin ich dabei sogar straffällig geworden. Habe ich Regeln missachtet? Ja. Ich habe 2- oder 3-mal einen Menschen, der nicht zu meiner Familie gehört, in den Arm genommen. In den meisten Fällen musste ich aber nicht entscheiden oder mich mit schlechtem Gewissen über bestehende Regeln hinwegsetzen, da sich die Frage nach Nähe überhaupt nicht stellt. Ich sehe außer meiner Familie, bis auf ganz wenige Ausnahmen, niemanden mehr.

 

Von Kindern gezwungen

Eine dieser Ausnahmen war eine Adventseinladung bei Freunden. Die Familie hat ein kleines Kind. Selbst hier waren ein anfängliches Zögern und Zaudern seitens des Kindes festzustellen. Aber nach einer halben Stunde, war das Eis gebrochen. Da wurde einfach nur Nähe gesucht. Mein Kopf in den Händen dieses Kindes, welches mich unverwandt ansah. Der bevorzugte Sitzplatz dieses Kindes, welches seit Wochen auch niemanden mehr sieht außer der eigenen Familie, auf meinem Schoß. So voller Energie, Neugier und Freude. Mir war mulmig. Nein, nicht weil ich Angst vor den Menschen habe, sondern weil ich mich als beständig tickende Zeitbombe, als potentielle Gefahr und Bedrohung für andere Menschen sehe. Was, wenn ich anderen Menschen mit meiner Nähe schade? Was, wenn ich als womöglich symptomloser Überträger, diesen Menschen krank mache? Ich brachte es aber bei diesem Kind einfach nicht übers Herz, es abzuweisen, es hätte mich innerlich zerbrochen. (Weder ich noch das Kind sind hinterher krank geworden oder tot umgefallen).

 

Verweigerungshaltung gegenüber anderen Menschen

Wenn die Menschen ihre Bedürfnisse nicht ganz so unverblümt ausdrücken können und nicht mehr ganz so klein sind wie Kinder, dann kann ich mich sehr gut verweigern. Und wenn ich mich verweigere, dann kann ich dem schlechten Gefühl, jemandem eventuell mit meiner Berührung und meiner Nähe zu schaden, sehr gut entgehen. Wohlfühlen sieht allerdings anders aus. Eine Freundin der Familie, die wir seit 17 Jahren kennen und die mit meiner Tochter aufgewachsen ist, besuchte meine Tochter anlässlich ihres Geburtstags. Eine Freundin.

Die Mädchen kochten zusammen. Bei der Begrüßung strahlten wir. Auf Abstand. Die ganze Körperhaltung, die Gestik und Mimik unseres Besuchs zeigten, dass gegen eine herzliche Umarmung - so wie früher eben – auch nichts einzuwenden wäre. Meine Vernunft berechnete die Wahrscheinlichkeit und kam zu dem Schluss, dass hier wohl kaum eine Gefahr bestehen würde. Aber ich konnte nicht. Ich konnte keine Umarmung zulassen. Innerlich war ich absolut zerrissen. Ich war nicht „happy“ mit meinem Verhalten, aber ich wäre auch nicht „happy“ gewesen, wenn ich die Umarmung zugelassen hätte.

 

Touch-Junkie oder Berührungs-Einsiedler

Ich werde einen „normalen“ Umgang mit Menschen „hinterher“ – wann auch immer das sein wird – erst wieder lernen müssen.

Entweder werde ich zu einer dieser „Touchies“ (Personen, die einen immer irgendwo wie zufällig anfassen müssen, auch wenn es gar nicht notwendig wäre und die kein Gespräch ohne Körperkontakt führen können. Ich kann so etwas eigentlich nicht leiden), oder ich kann keine körperliche Nähe zu Menschen mehr ertragen. 

 

Verseuchtes Selbstbild

Dabei sind es nicht die „Anderen“, die mir Angst einjagen, sondern die Möglichkeit, dass ich mit meiner Nähe diesen Menschen eventuell schaden könnte. Meine Existenz ist vielleicht eine potentielle Bedrohung für andere, auch wenn ich das gar nicht möchte.


Niemand sehenden Auges abstürzen lassen
Und wenn ich wieder Personen in meinem Studio empfangen werde dürfen – wann auch immer das sein wird – werde ich, mit Einverständnis der Teilnehmer und Teilnehmerinnen, diese sichern, wenn wir gefährliche Akrobatik-Figuren üben. Ich werde niemanden sehenden Auges abstürzen lassen.

Donnerstag, 11. Februar 2021

Mit Füßen getreten

 


Zurzeit wird nicht nur der Fußball mit hochoffizieller Erlaubnis mit Füßen getreten. Mit Füßen getreten werden kleine und mittelständische Unternehmer und Unternehmerinnen, die Veranstaltungsbranche, die Kultur, die Gastronomie, der Sport und nicht zuletzt unsere Kinder und Senioren.

Die Würde eines Menschen bemisst sich an seiner akkurat geschnittenen Frisur, der Rest kann weg.

 

Pane et circenses

Gebt den Menschen Netflix, Chips und Fußball. Baumärkte für die Herren und für die Damen den Friseurbesuch. So halten wir die dumme Bevölkerung auch weiterhin still.

Aber die Baumärkte haben doch noch gar nicht offen. Stimmt. Wenn man betrachtet, wie die Öffnungsszenarien im ersten Lockdown gestaltet wurden, kommt das aber bald.

(Es ist GUT, dass die Friseurgeschäfte ab 01. März wieder öffnen dürfen. Bitte nicht auf diesem Berufszeig herumhacken, sie haben (wie alle anderen auch) das Recht, ihren Beruf ausüben zu dürfen). Bildung, Sozialkontakte und Sport braucht keiner. Hauptsache, es wird nicht gehustet.

 

Psychologie, Kardiologie, Soziologie und vieles mehr

Auswirkungen des Lockdowns auf die Psyche? Geschenkt. Auswirkungen der verordneten Bewegungsarmut auf unser Herz-Kreislauf-System? Uninteressant. Auswirkungen der Undurchsichtigkeit der Regeln, die zudem ständig verändert werden auf die Gesellschaft? Wen interessiert das? Zahlen, die das geringe Ansteckungsrisiko in verschiedenen Branchen darlegen? Zu vernachlässigen.

Kunst und Kultur, gepflegter Genuss in der Gemeinschaft von Freunden? Fresst Sche, Millionen Fliegen können sich nicht irren.

 

Folter

Die Daumenschrauben anziehen. Die Maßnahmen verschärfen. Den Bürger und die Bürgerin bestrafen. Regeln aufstellen, Konzepte einfordern. Tantalus-Qualen. Damit arbeitet die Regierung. Tantalus wurde von den Göttern bestraft. Wir sind Tantalus und die Regierung unsere Gottheit. Tantalus hat die Götter betrogen und deshalb deren Zorn auf sich gezogen. Heute sieht es etwas anders aus. Unternehmer und Unternehmerinnen werden hingehalten, belogen und betrogen und dafür bestraft, dass sie sich an die aufgestellten Regeln halten.

Tantalus‘ Strafe war es, dürstend in einem Teich zu stehen und hungernd über sich die schönsten Früchte zu sehen. Griff er nach den Früchten, wichen die Äste zurück. Bückte er sich zum Wasser, verschwand es.

So agiert die Regierung. Ob die Hygienekonzepte das Wasser sind oder die versprochenen Inzidenzwerte die Früchte, das mag jeder selbst entscheiden.

 

Egoismus, Egozentrik und Selbstgefälligkeit

Welche Grundrechte werden denn eingeschränkt?

So die selbstgefälligen Fragen vieler, auch einiger Medienvertreter (ZDF, ARD). Wer diese Fragen stellt, dessen Selbstgefälligkeit ist nicht zu toppen. Menschen dürfen sich nicht frei bewegen. Menschen dürfen ihre Berufe nicht ausüben. Menschen dürfen sich nicht sehen. Menschen dürfen ihrer Religion nicht nachgehen. Menschen werden in „wichtig“ (systemrelevant) und weniger wichtig eingeteilt. Die Regierung entscheidet, wie sich ein Mensch verhalten muss und darf, er darf nicht mehr selbst entscheiden. Was wirklich zur eigenen Lebensgestaltung gehört und weiterhin gehören darf, das entscheidet der Staat. Eine gutsitzende Frisur gehört dazu, Fußball auch. Der Besuch eines Kosmetikstudios, die Reise, das neue Tattoo, ein gepflegtes Essen mit Freunden, Konzerte und Veranstaltungen gehören nicht dazu.

Nicht die Würde des Menschen ist unantastbar, sondern die Virologen.

 

Kein Unternehmen wird sterben müssen

Diese Worte fielen zu Beginn des ersten Lockdowns. Ein Hohn für die Würde all derjenigen, die bereits aufgegeben haben, weil sie aufgeben MUSSTEN.

 

Aber das Virus. Aber die Mutationen.

Da äußert sich doch tatsächlich ein Virologe darüber, dass das Virus im Verlauf der Pandemiebekämpfung einfach die Spielregeln geändert und sich verändert hat. Liebe Virologen, liebe Regierungsvertreter: Das hat es sich bei Euch abgeguckt.

 

Schuldverschiebung

Die Seite, die so gerne petzt, veröffentlichte ein Meme. Auf der linken Seite eine sichtlich ermattete Krankenschwester, die sich an Leichensäcke lehnt, während sie mit ihrer Familie nur noch über das Handy via Videocall Kontakt hat. Auf der rechten Seite übergewichtige Kinder und ungepflegte Erwachsene, die sich über die Maßnahmen aufregen, die glatzköpfig nach der Öffnung der Friseurgeschäfte schreien und sich gegen das Tragen von Masken aufbäumen. Darunter Kommentare die das Gejammer der betroffenen Personen als Luxusproblematik abtun und Menschen, die meinen, es wäre für Viele offensichtlich schlimm, wenn das Bordell, die Kneipe und der Friseur zuhätte, schließlich würde daraus ja deren Lebensinhalt bestehen.

An Niedertracht ist dieses Verhalten kaum zu überbieten. Warum sitzt denn die unterbezahlte Krankenschwester ermattet vor Leichensäcken? Weil sich weder die dummen Menschen noch das Virus an die Regeln halten oder weil das Gesundheitssystem gewinnorientiert und systematisch kaputtgemacht wurde? Und von wem? Vom Bordellbesucher? Vom Sportler? Vom Konzertbesucher?

Nein, es ist nicht die Regierung schuld, es ist die dumme Bevölkerung.

Aber auch Beleidigungen sind ja mittlerweile salonfähig geworden.

 

Disclaimer

Und zum Ende dieser unvollständigen, von Emotionen geleiteten, unwissenschaftlichen und unvernünftigen Ausführungen darf natürlich der üblich gewordene Disclaimer nicht fehlen.
Ich halte mich an die Regeln, habe ein Hygienekonzept, trage meine Maske, desinfiziere wie eine Wilde, sehe keinen Menschen mehr, halte mein Studio geschlossen, übe mich in Geduld und leugne weder die Pandemie noch bin ich ein Verschwörungstheoretiker.