Donnerstag, 9. Juli 2020

Werden oder sein – Beispiel Disziplin

Diszipliniert sein oder diszipliniert werden? – Das ist hier die Frage. Ersteres gilt fast schon als Tugend, als Aushängeschild für einen Plan, den man verfolgt, als Hinweis auf Biss und Durchsetzungsvermögen. Letzteres verbinden wir mit Strafen und Sanktionierungen, mit Erziehungsmaßnahmen und sehen es als Aberkennung unserer Freiheit. Kann man die beiden Sichtweisen einfach so trennen, nur weil ein Verb anders ist?


Disziplin und Spontaneität
Diese beiden Charaktereigenschaften scheinen nicht so gut miteinander zu harmonieren. Disziplin verfolgt einen Plan, sieht einen Ablauf vor, geht nach einem Schema vor, lebt zum Teil von der Wiederholung. Spontaneität setzt auf Freiheit, auf unbeschwerte Verhaltensweisen, skizziert ein Bild der Leichtigkeit des Seins, bricht aus der Routine aus.


Berufs- und Privatleben
Auf den ersten Blick wünschen wir uns im beruflichen Umfeld disziplinierte Menschen, egal ob wir dies aus der Sicht einer Führungskraft tun, die diese Eigenschaft bei Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen sehen möchte oder aus der Sicht eines Mitarbeiters oder einer Mitarbeiterin, die sich auch auf die Führungskraft verlassen können möchte.

Im Privatleben denken wir bei disziplinierten Menschen häufig an spaßreduzierte Personen. Das muss aber nicht sein. Disziplin hat nichts mit Humorlosigkeit zu tun, ganz im Ernst ;-)


Und dann war da noch die Fremdbestimmtheit
Es kommt auch immer darauf an, von wem die Disziplin ausgeht. Legen wir uns selbst die Regeln auf, die wir befolgen wollen, haben wir einen Plan und weichen von diesem nicht ab, auch wenn es manchmal schwer wird, dann gilt dies als anerkennenswert.

Werden wir diszipliniert, so bäumen wir uns häufig auf.

Gegen rote Ampeln, gegen Masken, gegen Korrekturen, gegen Kritik, gegen Maßnahmen, gegen Steuern, gegen Obrigkeiten, gegen.to be continued.


Disziplin und Souveränität
Es kann allerdings auch ein Zeichen von Souveränität sein, Dinge diszipliniert zu verfolgen, die wir uns selbst nicht ausgesucht haben. Zähneputzen beispielsweise.

Kein Kind sucht sich Zähneputzen freiwillig aus. Bis ein Kind hier diszipliniert ist, muss es häufig ermahnt, zu Disziplin angehalten werden. Irgendwann wird aus der auferlegten Disziplin Routine und dann sind 2x3 Minuten am Tag auch keinen Kampf mehr wert, weil es andere Dinge gibt, auf die man die Energie viel besser verwenden kann.


Training, Coaching, Gesellschaft
Im sportlichen Training schreibt uns der Trainer zunächst vor, was wir tun sollen. Je exakter wir es ausführen und je länger wir dabeibleiben, umso eher werden wir mit Erfolgen belohnt. Auch im Coaching legt ein Trainer/Coach den Finger in die Wunde und zeigt uns neue, ungewohnte Wege auf, die uns anfangs belasten, stressen, viel von uns abverlangen. Bleiben wir auch hier dabei, so werden wir (auch hier die Qualität des Trainers vorausgesetzt), Veränderungen bemerken, es wird besser werden.

Allein in der Gesellschaft scheint das so eine Sache zu sein mit der Disziplin.

Man muss als Mitglied einer Gemeinschaft nicht alles gut finden, was man zu Wohle der Gemeinschaft tun sollte/ tun muss, aber man sollte sich auch überlegen, ob der Zahnputzkrieg der Kleinkind-Trotzphase hier wirklich weitergeführt werden muss.


Konkrete Beispiele zum Abschluss
Die neuen Hygieneauflagen haben für uns alle Veränderungen mit sich gebracht. Die Maske nicht vergessen, die Hände desinfizieren.

In den meisten Fällen läuft es gut, aber in vielen Fällen eben auch nicht.

In unserem Sportstudio machen die Teilnehmer und Teilnehmerinnen so toll mit, dass es schon zur Routine geworden ist. Matten werden desinfiziert, Masken werden getragen und dürfen am Trainingsplatz abgesetzt werden. Jeder macht mit und ich habe das Gefühl, es macht (trotzdem) Spaß.

Gut, manchmal muss man auch hier erwachsene Menschen „disziplinieren“, die die Regeln „vergessen“. Als Studioinhaberin bin ich aber dafür verantwortlich, dass diese Regeln eingehalten werden und daran hängt auch die (weitere) Möglichkeit unter Einhaltung der Hygieneregeln geöffnet haben zu dürfen. Weil mir das wichtig ist, muss ich erwachsene Menschen auf diese Regeln manchmal hinweisen: „Eintritt bitte nur mit Maske!“ – „Bitte die Hände desinfizieren“.


Disziplin muss nicht immer Spaß machen
Das macht keinen Spaß, es erfordert halt nur Disziplin – auf beiden Seiten.

Ich glaube nicht, dass es auch nur einer Person wirklich Spaß macht, eine Maske zu tragen. Ich beneide auch die Personen nicht, die jeden Tag mehrere Stunden damit durchhalten müssen, das möchte ich an dieser Stelle betonen.

Wenn ich allerdings sehe, wie ein Speiselokal mit großer Terrasse von Gästen überrannt wird, die zu 80% KEINE Maske dabeihaben (obwohl sie diese doch nur zum Eintreten aufsetzen sollten), dann fühle ich mich an den Zahnputzkrieg erinnert.

Es ist kein Aushängeschild von sinnvoller Revolution, sich an diese kleinen Disziplinarmaßnahmen nicht zu halten, sondern eine Respektlosigkeit. Ich mag die Masken auch nicht, ich bin froh, wenn ich keine tragen muss und ob sie wirklich in irgendeiner Weise hilfreich sind, wer weiß? Aber es könnte doch sein, also dann halte ich mich eben dran.

Bin ich jetzt diszipliniert oder werde ich diszipliniert? Das ist hier die Frage.

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