Donnerstag, 11. Juni 2020

Der Move ist der Mühe nicht wert



Dieses Zitat stammt von einer Teilnehmerin, die sich im Training immer genau das zu erwartende Ergebnis ansah, sich also ein Bild vom fertigen Trick/der fertigen Figur machte, um dann den Aufwand, den dieser Trick erfordern könnte, mit den Mühen dorthin zu gelangen, zu vergleichen. War die Figur nicht schön/eindrucksvoll genug, quittierte sie dies mit oben genanntem Satz. Bei der Senkung der MwSt. geht es mir im Moment ähnlich, nur dass ich hier nicht selbst entscheiden darf, ob ich mitgehe oder nicht.

 

Mehr Gewinn

Für ein halbes Jahr wird die MwSt. um 3 bzw. um 2 Prozentpunkte gesenkt. Hey, 2-3% mehr Gewinn! Das hilft den gebeutelten Unternehmen unheimlich auf die Sprünge. Damit ist das Jahr gerettet. Ein tolles Signal und ein absolutes Entgegenkommen. Vielen herzlichen Dank.

So oder ähnlich sollten die Unternehmer wahrscheinlich reagieren, doch die Realität sieht anders aus.

Weil Unternehmer grundsätzlich unzufrieden sind? Weil Unternehmer grundsätzlich ungern Steuern zahlen?

Nein, weil hier etwas angestoßen wird, dem man sich nicht entziehen kann, dessen Rattenschwanz man aber versuchen muss, einzufangen.

 

Erwartungen der Kunden

Kaum, dass die Senkung der MwSt. beschlossen war, hört und liest man in den Medien, dass sich dies auf die Preise auswirken solle, dass Endverbraucher nun mit niedrigeren Preisen rechnen können. Alles wird billiger. Konsum frei! So geht’s der Wirtschaft (wieder) gut.

Durch diese Berichterstattungen werden berechtigte Wünsche und Erwartungen in Kunden und Endverbrauchern geschürt, die ein Dienstleister/Unternehmer erfüllen soll.

Dankeschön!

 

Realität

Was die Senkung der MwSt. im betrieblichen Alltag eines kleinen Unternehmens bedeutet, möchte ich hier an einigen Beispielen konkret darstellen.

Wir bieten in unserem Sportstudio unter anderem 6wöchige Kurse an, aber auch Punktekarten. Wir arbeiten ohne Vertragsbindung, was sich im Moment erneut als Vorteil herausstellt, da wir keine bestehenden Abos verändern müssen.

Eine 20 Punkte-Karte kostet inkl. MwSt. 150,00. Ein Kurs im Durchschnitt 125,00 (für 6 Wochen).

Das bedeutet, dass wir pro Kunde umgerechnet auf 6 Wochen bzw. maximal ein halbes Jahr (so lange gilt eine 20-Punkte-Karte) ca. 0,70mehr GEWINN haben. Macht also ca. 0,47pro Monat pro Kunde mehr.

 

Rechtfertigungsposition

Der Kunde erwartet, dass die Preise gesenkt werden. Würde ich die Preise um 50 Cent senken, würde sich der Kunde ein wenig „vergackeiert“ vorkommen. Senke ich die Preise nicht, so stehe ich als Unternehmer als raffgierig da.

Wie ich es also als Unternehmer anfange, ich werde es falsch machen.

 

Der Rattenschwanz

Was auf alle Fälle zu tun ist: Rechnungsvorlagen ändern, mit Kunden in klärende Gespräche gehen, Preise anpassen oder eben nicht anpassen, die Webseite bearbeiten etc. etc. etc.

Wir arbeiten so altmodisch, dass wir unsere Rechnungsvorlagen noch selbst bearbeiten können. Andere Unternehmen dürfen/müssen darauf hoffen, dass ihr Programm die Änderungen rechtzeitig zur Verfügung stellt und dass die Kosten für ein Update so gering sind, dass sie den unheimlich großen Gewinnzuwachs nicht an sich sofort wieder zunichte machen.

Jeder Schritt an sich klein und zu vernachlässigen, aber getan werden muss er, da beißt die Maus keinen Faden ab. Und jeder Schritt kostet Zeit. Zeit, die ich nicht doppelt habe und die ich nicht für das einsetzen kann, was vielleicht für beide beteiligten Seiten (Kunde und Unternehmer) sinnvoller und attraktiver wäre.

Und wenn ich alles vollzogen habe, dann habe ich für exakt ein ganzes halbes Jahr meine Ruhe, bevor ich Anfang 2021 wieder von vorne anfangen kann.

Leistungen, die sowohl im Zeitraum VOR der Änderung als auch im Zeitraum WÄHREND der Änderung in Anspruch genommen werden, unterliegen dann zwei Steuersätzen. Grundsätzlich müsste ich also jede Rechnung neu schreiben.

Nochmals: Vielen Dank. Ich wüsste wirklich nicht, was ich mit meiner Zeit anfangen soll, wenn nicht derartige Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen generiert würden. Mir wäre als Unternehmerin schlicht langweilig und ich darf mich wirklich nicht beschweren, denn ich verdiene ja Unmengen an Geld mehr und meine Gewinne steigen ins Unermessliche.

Von diesen Summen kann ich nicht mal das Desinfektionsmittel bezahlen, welches seit der Umsetzung der Auflagen in rauen Mengen verbraucht wird und jeden Bereich mit einem angenehm klinischen Geruch versieht.

Abgesehen davon, generiert der Staat damit eine tolle "double bind Situation", denn ich kann es als Unternehmer wieder nur falsch machen: Habe ich die Preise im Juli 2020 vielleicht wirklich gesenkt, wird eine erneute Erhöhung nicht auf viel Gegenliebe stoßen. Habe ich den riesigen Gewinn als Unternehmer einfach so in meine Tasche gesteckt, dann muss ich jetzt damit leben, wieder viel viel viel weniger Gewinn zu machen ( ;-))

 

Ohrfeigentrinkgeld

Als Jugendliche arbeitete ich nebenher als Bedienung. Das Trinkgeld war eine willkommene, wenn auch schwer zu berechnende „Gehaltserhöhung“.

Manchmal kam es vor, dass man große Gruppen zu bedienen hatte, die relativ lange saßen. Gezahlt wurde manchmal von einer Person. Ich kann mich noch an einige Male erinnern, als ich das Trinkgeld am liebsten gar nicht angenommen hätte, weil ich es als Affront verstand.

Bei Rechnungssummen von 139,80 wurde mit gönnerhafter Manier vom Kunden 140,00 auf den Tisch gelegt mit der Aussage: „Stimmt so!“

So ähnlich fühlt sich die Senkung der MwSt. an.
Was "die da oben" damit zeigen: Sie haben keine Ahnung vom unternehmerischen Alltag, es geht ihnen nicht darum, dass es einem Unternehmer besser geht, sie wollen gut dastehen und tun dies auf Kosten derer, die ihre Suppe auslöffeln dürfen. Ja, ich bin sauer!

 

Entschleunigung – Fehlanzeige!

Corona hat Einiges durcheinandergebracht. Aber es hat uns allen auch die Möglichkeit gegeben, den Blick auf das Wesentliche zu schärfen. Respekt und Anerkennung, Wertschätzung und Geduld walten zu lassen. Personen im Allgemeinen mit anderen Augen sehen zu können. Leitsätze geprägt durch „höher, schneller, weiter, billiger, mehr“ etwas in Frage zu stellen. Das fand ich gut.

Jetzt sind wir wieder genau da, wo wir vorher waren.

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