Freitag, 29. Mai 2020

Flexibilität trainieren, Grenzen akzeptieren – Agree to disagree




Im Sport sagt man dem Training der Flexibilität nach, dass es eine gute Methode sei, den Bewegungsapparat gesund zu erhalten, Stress zu vermindern und Verspannungen zu lösen.

Durch Dehnungsübungen „zieht“ man den Muskel in die Länge. Ansatz und Ursprung des Muskels sollen sich weiter voneinander entfernen – vereinfacht und sinnbildlich gesprochen.

Dieses „Langziehen“ kann eine bessere Aufnahme von Nährstoffen und Sauerstoff verursachen und ist somit (richtig ausgeführt) gesund. Am Anfang verursacht Dehnen Schmerzen. Auch das ist normal und als gesundes Warnsignal des Körpers zu verstehen. Kommunikation mit dem Körper, Atmung, Geduld und Ruhe sind hier wichtige Faktoren, die vor Verletzungen schützen.

 

Übertragen wir dieses Wissen um die Auswirkungen von Dehnungsübungen auf unseren Kopf, lassen sich metaphorische Gemeinsamkeiten erkennen.

 

Sturheit ist die Unflexibilität des Geistes

Das Training der Flexibilität stärkt auf Dauer Sehnen und Bänder, die Haltestrukturen unseres Körpers, die Unterstützer unserer knöchernen Strukturen.

Ähnlich kann das auch mit dem Zulassen anderer Sichtweisen und Meinungen sein.

 

Am Anfang verursacht es bei manchen Menschen scheinbar körperliche Schmerzen, auch nur zu registrieren, dass Dinge unterschiedlich betrachtet werden können. In Anlehnung an die oben genannten Dehnungsschmerzen, schützt sich der Kopf vor Verletzungen. Es überfordert die geistige Reichweite und muss deswegen vermieden werden.

 

Doch ebenso in Anlehnung an Dehnungsübungen für den Körper, kann es sogar gesund sein, sich auf die mögliche Erweiterung des eigenen geistigen Horizonts einzulassen.

So wie Dehnen im körperlichen Bereich einen Ausgleich muskulärer Dysbalancen schaffen kann, so könnte das theoretisch auch im Geiste passieren.

 

Mit Gewalt geht gar nichts und schnell auch nicht

Dehnen, Stretching, das Training der Flexibilität setzt voraus, dass man sich darauf einlässt. Man braucht Zeit, sich mit dem Körper auseinanderzusetzen. Man muss mit dem eigenen Körper kommunizieren. Bei jeder neuen Dehnungsübung reagiert auch unser Körper erst einmal stur: „Nö! Kenne ich nicht. Will ich nicht. Habe ich noch nie gemacht. Geht nicht. Tut weh. Lassen. Aufhören.“

 

Nun können wir der Forderungen und dem Willen unseres Körpers nachgeben und es bleiben lassen. Oder wir gehen in Mini-Schritten vorwärts, geben dem Körper Zeit, respektieren seinen Schmerz, hören auf ihn, wiederholen, trainieren und geben nicht auf.

 

Natürlich können wir auch versuchen, den Körper zu zwingen, weil wir es ja schließlich besser wissen. Im Sport wissen wir alle, wie ein solcher Versuch endet.

 

Geistig ist es ähnlich

Die Erweiterung geistiger Horizonte setzt voraus, dass man sich dafür Zeit nimmt, dass man Gegenargumente nicht sofort vom Tisch wischt, dass man Meinungen anhört und die Schmerzen der anderen Partei, wenn diese sich auf neue Meinungen einlassen soll, ernst nimmt. Auch hier führt Zwang zu gar nichts.

 

Wertschätzende Kommunikation

Das Schlagwort schlechthin der letzten Jahre und Monate, wenn es um innerbetriebliche Schulungsmaßnahmen im Bereich Führung und Teams ging. Das war vor Corona.

In den letzten Monaten scheint diese wertvolle Grundlage gemeinsamen Miteinander-Redens wieder unbedeutender geworden zu sein. Schade eigentlich.

 

Agree to disagree

Wir sind uns darüber einig, dass wir uns nicht einig sind.

Klingt ein wenig wie Sokrates berühmte Aussage: „Ich weiß, dass ich nichts weiß.“ (Korrekt übersetzt müsste es angeblich heißen: Ich weiß, dass ich nicht weiß.)

 

Sokrates ist sich des Umstands bewusst, dass ihm das Wissen, welches über jeden Zweifel erhaben ist, fehlt. Kluger Mann.

 

Wissen ist nie allumfassend. Das wäre auch schlimm und schade, denn dann könnte man die Forschung und Entwicklung auch aufgeben. Zwischen Schwarz und Weiß existieren viele Grautöne, manchmal sogar Farben.

Ein (wissenschaftlicher) Diskurs setzt voraus, dass sich alle Parteien der Wahrscheinlichkeit bewusst sind, dass sie falsch liegen könnten. Trotzdem oder gerade deswegen interessieren sie sich für die Betrachtungen anderer.

 

Und am Ende eines Tages kann man dem anderen mit Respekt begegnen, obwohl man festgestellt hat, dass sich der andere nicht von der eigenen Sichtweise hat überzeugen lassen.

Agree to disagree – ein hohes Ziel!

Donnerstag, 14. Mai 2020

Was man oft vergisst


Jeder ist sich selbst der Nächste. Prinzipiell ist das nicht verwerflich, aber es stimmt so auch nicht immer ganz. Gerade in schweren Zeiten ist es wichtig, sich nicht in Selbstmitleid zu panieren. Stattdessen muss man sich öfter mal selbst in den Allerwertesten treten und die Perspektive für die öffnen, die aus ganz anderen Gründen an der Situation verzweifeln.

 

Das können die doch nicht machen

Auch hinter diesem „die“ stecken Menschen. Menschen, die Entscheidungen nicht leichtfertig treffen. Menschen, die sich Gedanken machen. Menschen, die Verordnungen nicht nur erstellen, sondern auch durchsetzen müssen. „Die“ ist keine gesichtslose Masse.
Wenn uns etwas nicht passt, wenn wir traurig, wütend oder sauer sind, so können wir nur schlecht auf eine Sache sauer sein. Das bedeutet, dass wir der Sache ein (oder mehrere) Gesichter geben (müssen). Sachlagen werden personalisiert und es kann sich ein richtiger Hass auf die Personen entwickeln, die eigentlich auch nur ihren Job machen.

 

Ich tu mir leid – ich tu mir so schön leid

Ich glaube, es handelt sich dabei um ein Fragment eines Songtextes von Eisbrecher. Manchmal muss man sich in (Selbstmit)Leid panieren, um den Schmerz und die Tiefe dessen, was es in uns auslöst auch ganz verstehen und begreifen zu können. Das ist notwendig und gehört meines Erachtens zur Bewältigungsarbeit dazu. Aber dann muss auch wieder Schluss sein.

Fast wie beim Fahrradfahren. Berg runter einfach laufen lassen, oder sogar noch selbst in die Pedale treten, aber nur, damit man auf der anderen Seite die Steigung wieder leichter schafft.

Man muss sich also selbst eine Deadline setzten, wann dann auch mal mit dem Gejammer Schluss ist.

 

Der Tritt in den Allerwertesten

Wir kennen das vom Training. Eine Zwangspause ist hart und am Anfang fehlt es uns wirklich und wir sehnen uns danach. Dann tut es nicht mehr ganz so weh und schließlich gewöhnt man sich daran und wird faul. Fallen, wie in den jetzigen Zeiten, die verbindlichen Termine weg, ist es noch schwerer, sich aufzuraffen. Großes Lob an alle Personen, die die sportliche Betätigung nicht vergessen oder vernachlässigen. Online-Kurse sind nicht jedermanns Sache, das soll hier auch gar nicht das Thema sein. Körperliche Betätigung hilft uns. Sie schützt uns. Sie hilft dabei Stresshormone abzubauen und unser Herz gesund zu halten. Stress haben wir alle im Moment mehr als genug (Achtung: Stress muss nicht immer gleichbedeutend sein mit einem Berg an Arbeit, er kann auch „nur“ im Kopf entstehen). Sorgen fressen sich in unser Herz und machen es schwer. Gerade in solchen Zeiten in denen es darum geht, Gesundheitsgefahren für viele zu bannen, schleichen sich andere Gefahren ein, die man zunächst so gar nicht erkennen würde.

 

Der Tritt in den Hintern bedeutet aber nicht nur, dass man sportlich und körperlich (wieder) aktiv wird/bleibt, sondern auch, dass es wichtig ist, die Perspektiven zu wechseln und echte Empathie dort walten zu lassen, wo es uns schwerfällt. Und so kommen wir wieder zu „denen“ vom Anfang zurück.

 

Ignoranz

Die sind schuld an
Das machen die absichtlich

Die Situation macht uns allen keinen Spaß. Niemand hat sich das ausgesucht und vieles ist nicht mehr nachvollziehbar und verständlich. Ohnmacht, Wut und Aggression steigen und irgendwo müssen diese Empfindungen hin. Das kann überlegt passieren oder in hilfloser Ohnmacht auch entarten.

 

Ich habe in den letzten Wochen viel Ignoranz erlebt. Ignoranz in der Form, dass ich einfach ignoriert wurde. Das ist überhaupt kein schönes Gefühl, wenn man sich dann eventuell auch noch im oben beschriebenen Selbstmitleid paniert.

Aber – und das ist viel wichtiger – ich habe auch viel Zuspruch erfahren, dort, wo ich ihn vielleicht nicht erwartet hätte. Ich habe sehr nette Antworten bekommen und habe erlebt, dass es durchaus Politiker und Politikerinnen, Verbandsvorsitzende und Mitarbeiter von Behörden gibt, die sich einsetzen, die sich kümmern, die einem mit Wertschätzung begegnen.

Dafür gebührt all diesen Personen Dank!

 

Hiob hat viele Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen

Viel häufiger ist es allerdings so, dass wir „die“ ja gar nicht erreichen, sondern viel eher die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Behörden, von denen wir auch vorurteilsbehaftet denken, es würde sie nicht interessieren, sie wären langsam und hätten keine Ahnung von der „Welt da draußen“. Diese Personen bekommen dann unseren Unmut, unsere Ungeduld und unsere Sorgen, Ängste und Nöte ab, müssen unseren Frust erdulden.

Dabei machen sie nur ihren Job und haben dabei das Pech, dass sie eben greifbarer sind als andere.

 

Behörden halt

Auch diese Personen haben es sich nicht ausgesucht, jetzt mit Anträgen, Mehrarbeit, Fragen auf die niemand eine Antwort hat, bombardiert zu werden. Auch diese Personen sind nur begrenzt belastungsfähig. Auch diese Personen haben Mitgefühl und so gehen auch diesen Personen die Schicksale nach, auch wenn man daran zunächst gar nicht denken mag.

 

Natürlich denken wir an die vielen Menschen, die an „vorderster Front“ (ich mag den Begriff nicht, er klingt nach Krieg) ihre Arbeit verrichten, aber wir sollten auch die nicht vergessen, deren Tätigkeiten ebenso wichtig sind und die generell in unseren Augen im Moment sowieso mehr falsch als richtig machen. Das ist nicht fair. In vielen Situationen sind sie nur der Überbringer von Nachrichten und Anordnungen, die uns nicht gefallen!

Aber hey: „Don’t shoot the messenger”

 

In diesem Sinn auch Danke an diese Personen!

 

Freitag, 8. Mai 2020

Brot und Spiele – UND Baumärkte


Wir haben alle eine Verantwortung in einer Gesellschaft, die wir zu übernehmen bereit sein sollten. Dazu gehört es auch, sich an Regeln zu halten. Je verständlicher die Regeln sind, je fairer diese auf- und umgesetzt werden, umso mehr bleibt das Gefühl, wir alle würden im selben Boot sitzen. Fernab aller Verschwörungstheorien fällt dies zunehmend schwer, je genauer man sich die Regeln betrachtet.

 

Föderalistisches System

Nachdem ich politisch ziemlich ungebildet bin, will ich hier gar nicht näher auf den Sinn oder Unsinn des föderalistischen Systems eingehen. Nur so viel: Kennt ein Virus sich damit auch so gut oder schlecht aus wie ich? Also hält es sich dann in den unterschiedlichen Bundesländern auch an die unterschiedlichen Regeln? Warum ist die Ansteckungsgefahr beispielsweise in Fitnessstudios in NRW geringer als in Bayern? Wie gesagt, ich verstehe es nicht.

 

Zeitungen

Während der ganzen Zeit des Lock-Downs hatten Tabak- und Zeitschriftenläden geöffnet. Mehr oder weniger nachvollziehbar. In Ordnung.

Wenn ich mir im Laden Zeitschriften ansehen und kaufen kann, warum müssen Zeitschriften dann beim Friseur weggeräumt werden?

 

Umkleiden

In den Bundesländern, die ihre Sportstätten wieder öffnen, ist es streng untersagt, die Umkleiden zu benutzen. Die Geschäfte, die Oberbekleidung anbieten, sind (ich lasse mich hier gerne eines Besseren belehren, wenn meine dürftige Recherche dazu ausschließlich zu den falschen Ergebnissen geführt haben sollte) die Anproben geöffnet. Es wird der Hinweis gegeben, dass das Anprobieren der Kleidungsstücke „über den Kopf“ unterlassen werden sollte (https://www.bghw.de/die-bghw/faq/faqs-rund-um-corona/spezielle-fragen-fuer-beschaeftigte-im-handel-und-in-der-warenlogistik/was-ist-im-einzelhandel-bei-der-ausgabe-von-waren-zur-anprobe-und-bei-deren-ruecknahme-sowie-bei-der-annahme-von-reparaturen-und-retouren-zu-beachten), aber auch gleichzeitig der beruhigende Hinweis gegeben, dass das Ansteckungsrisiko mittels eines Kleidungsstückes, was eine fremde andere Person vorher anprobiert hat, extrem gering wäre (https://www.rtl.de/cms/in-geschaeften-shoppen-waehrend-corona-kann-ich-mich-beim-kleidung-anprobieren-anstecken-4525596.html).

Aha!

 

Fahrradfahren

Ein Austausch mit meinem Neffen, der in Frankreich lebt (ja, jetzt gehen wir sogar über die Landesgrenzen hinaus) brachte eine weitere seltsame Regel zutage: Sport im Freien ist erlaubt, man darf joggen. Fahrradfahren ist allerdings untersagt. Den Grund dahinter versteht allem Anschein nach nicht mal die französische Gendarmerie, die nach Aussage meines Neffen, zwar Fahrradfahrer auf das Verbot hinweisen, aber nicht zu Anzeigen oder dem Verhängen von Bußgeldern greifen würde.

 

Brot und Spiele

Wie im alten Rom scheint es manchmal, dass es wichtig ist, im Zuge immer mehr aufkeimender Fragen, das Volk ruhigzustellen. Gebt dem Volk Essen und Genussmittel und Fußball.

Abstandsregeln sind hier dann nicht mehr so wichtig? Sport ist nur dann wichtig, wenn er wirtschaftlich interessant ist UND gleichermaßen das Volk ruhigstellen kann? Und Buhmann ist der, der aufdeckt, dass sich eben viele nicht an die Regeln des Mindestabstands und der Kontaktsperre halten?

Ich habe mich dazu lang ausgelassen, habe mit der Bitte um sportlichen Zusammenhalt einen Brief an den DFB und alle Vereine der 1. Und 2. Bundesliga geschrieben (hier: https://www.rtl.de/cms/in-geschaeften-shoppen-waehrend-corona-kann-ich-mich-beim-kleidung-anprobieren-anstecken-4525596.html).

 

Baumärkte

Und Baumärkte! Baumärkte sind auch ganz wichtig. So ein bisschen fragt man sich schon, warum das so ist? Kann es sein, dass man so die (ACHTUNG KLISCHEE) Ehefrauen ruhigstellen kann, die sich endlich ein verschönertes Wohnzimmer wünschen und die Ehemänner gleich auch, weil sie tagsüber dann was zu tun haben und abends Fußball gucken können?

 

Und jetzt?

Keine Ahnung! Sinnlose Revolte, das ungenierte Teilen irgendwelcher abstruser Verschwörungstheorien oder das trotzige Verhalten, sich über bestehende Regeln hinwegzusetzen kann nicht das Mittel der Wahl sein.

 

Blick in die Zukunft

Was ich mich ernsthaft frage ist, wie ich bei folgendem Fall vorgehen sollte?: Nehmen wir mal an, auch wir in Bayern dürfen irgendwann mal wieder unsere Sportstudios (groß, klein, mittel, mikro, mini) öffnen.
Sicherlich wird dann eine Maximalzahl an Personen festgesetzt werden, die sich in den Räumlichkeiten aufhalten darf. Was passiert, wenn die Polizei oder das Ordnungsamt kommt und die Einhaltung der Regeln und des Hygienekonzepts überprüfen möchte?
Muss ich den Personen Einlass gewähren? Und wenn ja und wenn dadurch die zulässige Personenanzahl überschritten würde, muss ich dann erst Kunden aus dem Studio rauschmeißen? Alle Kunden sind mir beispielsweise bekannt (namentlich) und mögliche Infektionsketten wären gut nachvollziehbar. Dieser Umstand wird durch das Betreten fremder Personen, die unter Umständen dazu führen, dass die zulässige Höchstzahl überschritten würde, zunichte gemacht.

Wie soll ich mich denn nun richtig und gut verhalten?

 

Fragen wir einfach das RKI

Wenn man Berichten glauben darf (https://www.welt.de/debatte/kommentare/plus207808983/Corona-Krise-Wie-kann-das-RKI-ausgerechnet-jetzt-seine-Briefings-einstellen.html?cid=socialmedia.facebook.shared.web), werden die Informationen allerdings bis auf Weiteres eingestellt. Ich fühle mich etwas verloren, dabei würde ich doch so gerne meiner Verantwortung nachkommen und alles richtig machen.


Update auf Nachfrage:
Der Polizei und den Ordnungsbehörden muss man immer Einlass gewähren, egal wie viele Personen sich dann im Raum befinden....